Mit Schuhgröße 87 zur Genneralm
16.12.2024
Allgemein, Ausflugsziele, Sport & Freizeit, Printmagazin "Anders g'schaut"
16.12.2024
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Eine Schneeschuhwanderung in Eugendorfs alpinem Vorzimmer – samt zehn Lektionen.
Kurz bevor wir unser Auto in Lämmerbach abstellen und in die Schneeschuhe schlüpfen, stürzt die Außentemperaturanzeige ins Bodenlose. Der kleine Weiler bei Hintersee empfängt uns mit Frischhaltetemperaturen wie im Dreistern-Gefrierfach. Vor allem aber in Weiß. Gut so, denn beim Start in Eugendorf, eine halbe Fahrstunde entfernt, hatten wir noch Zweifel an der Schneelage.
Beim Forststraßenaufstieg Richtung Genneralm kommen unsere Körper auf Betriebstemperatur, heizen die hinterlistige Kälte weg. Üppig ist die Schneelage vorerst noch nicht. Aber genau das beschert uns die erste Erkenntnis des Tages: Zum Schneeschuhwandern brauchen wir weder Kunstschneedecke noch durchgehenden Naturschnee. Weil man über apere Stellen ungeniert drüberschlurft. Mit Tourenskiern wären wir zimperlicher, was »Feindkontakte« betrifft.
Im Graben neben uns stürzt der Gennerbach über Gesteinsplatten, die gestapelt sind wie Blätterteigschichten. Einige Wasserfälle sind erstarrt zu bläulichen Eiszapfen-Vorhängen. In diesem Ambiente wird sogar das Gehen auf Forststraßen, im Sommer oft etwas eintönig, zum Erlebnis. Bald ist auch der Schnee höher und pulvriger. Mit den breiten Tretern in Schuhgröße 87 stanzen wir nun XXL-Abdrücke ins Weiß wie der Yeti höchstpersönlich. Zweite Lektion des Tages, für die Anfänger unter uns: Der Schneeschuh-Watschelschritt ist ziemlich intuitiv – und daher leicht zu lernen.
Zentimetergroße Raureifplättchen glitzern auf der Schneeoberfläche und rascheln bei jedem Schritt. Ansonsten herrscht Stille. Alles wirkt wie in Watte gepackt, der Schnee dämpft sämtliche Geräusche. Es ist so ohrenbetäubend leise, dass sogar der eigene Atem laut erscheint.
Lektion Nr. 3: Schneeschuhwandern ist der Gegenentwurf zu seichter Dauerbeschallung auf Skipisten und hochprozentiger Après-Ski-Gaudi. Es ist ein stiller und authentischer Wintersport, reduziert aufs Wesentliche.
Beim gleichmäßigen Stapfen verfallen wir mehr und mehr in einen meditativen Trott. Ganz anders der Skitourengeher im Rennoutfit, der im Wettkampftempo an uns vorbeihetzt. Er leistet fraglos mehr als wir. Aber irgendwie wirkt er, als mache der Spaß um ihn einen großen Bogen. Nun ja, jeder wie er will. Wir möchten uns heute jedenfalls nicht vom Leistungsdenken schikanieren lassen. Erkenntnis Nr. 4: Schneeschuhgehen macht genau das möglich, weil es in Bewegung übersetzte Gemächlichkeit ist. Flow statt Kick. Sporthistorische Großtaten, die man stolz auf Social Media posten könnte, werden auf Schneeschuhen keine erbracht.
Ein weiterer Vorteil: Wer gemächlich unterwegs ist, bemerkt eher die kleinen Highlights: etwa die zarte Hasenfährte neben der Forststraße. Sie erinnert uns daran, dass wir im Wohnzimmer der Wildtiere unterwegs sind. Schrecken wir Gämse & Co auf, verbrauchen sie bei der Flucht durch tiefen Schnee enorm viel Energie. Was sie schlicht nicht überleben, wenn es zu oft vorkommt. Die fünfte Erkenntnis lautet daher: Lieber auf den üblichen, empfohlenen Routen bleiben, Wildruhegebiete respektieren und die Dämmerung meiden. Eigenverantwortung verlangt Schneeschuhwandern aber auch beim Orientieren und beim Einschätzen der Lawinengefahr. Schließlich sind wir oft querfeldein unterwegs, abseits von Markierungen oder präparierten Winterwanderwegen. Deshalb muss die gesamte Notfallausrüstung in den Rucksack – und der Umgang mit ihr vertraut sein. Soweit Lektion Nr. 6.
Nach knapp zwei Stunden Aufstieg stehen wir plötzlich auf der Genneralm.
Winterstürme haben dort zwischen den 20 Hütten riesige, stromlinienförmige Schneedünen herausmodelliert. So, als hätte jemand bei einem Ozean die Stopptaste gedrückt und die Wogen zu Weiß erstarren lassen. Der nach wie vor wütende Wind peitscht uns Schneekristalle ins Gesicht wie hundert kleine Nadelstiche – ein Gesichts-Peeling der besonderen Art. Wir flüchten zur Posch’nhütte. Im Sommer dient sie als urgemütliche Anlaufstelle für Wanderer und Mountainbiker, auch wegen der sündig-süßen Zwetschkenpofesen. Jetzt ist sie fest verschlossen. Wir finden jedoch eine windgeschützte Bank und lehnen uns genüsslich an die sonnengewärmte Hüttenwand.
So lässt es sich aushalten! Aus den Rucksäcken angeln wir frisches Bauernbrot, würzige Dauerwurst und dampfenden Tee. Sie schmecken allesamt dreimal so gut wie im Tal.
Weil ganz banale Empfindungen, die man im bequemen, zentralgeheizten Alltag kaum beachtet, in der Natur einen ganz anderen Stellenwert bekommen: Kälte, Wind, Sonne, Hunger, Durst. Das ist die siebte Lektion.
Wir verfallen in wortloses Mampfen. Vielleicht macht uns auch das Panorama sprachlos. Es ist nur eine Armlänge vom Kitsch entfernt: vor uns die weite Almfläche, links das felsige Holzeck, rechts das Gennerhorn und in der Ferne setzt das Tennengebirge hochalpine Akzente. Darüber sind dekorative Schönwetterwolken an den kornblumenblauen Himmel geschraubt.
Als Tüpferl auf dem »i« lässt dann sogar noch der Wind nach. Worauf wir im Anschluss an die Siesta noch kreuz und quer über die Alm stapfen. Denn nach all dem Schauen lautet die
Erkenntnis Nr. 8: Genneralm und Schneeschuhe, das passt zusammen wie Topf und Deckel. Genau so muss genussvolles Schneeschuhgelände aussehen: weitläufig, wellig und nicht zu steil! Lektion Nr. 9 folgt im unverspurten Schnee auf den Fuß: Zwar verhindern die breiten Treter ein
übermäßiges Einsinken, dennoch ist Schneeschuhwandern beileibe kein unbeschwertes Dahinschweben wie auf Pulverschnee-Wolken. Es verlangt definitiv mehr Kraft und Ausdauer als das Wandern im Sommer.
Und der Abstieg dauert länger als auf Skitouren, wo man flott runtercarvt. Genug Zeit also, um uns auf die Segnungen der Zivilisation zu freuen. Zum Beispiel auf die heiße Dusche, die uns im Hotel in Eugendorf erwartet. Vermutlich ist das die zehnte und letzte Lektion des heutigen Tages:
Eugendorf ist kein klassischer Wintersportort, aber ein idealer Ausgangspunkt dafür, weil die Alpen vor der Haustür liegen und weil zudem Kultur, Kulinarik und Wellness warten. Bei so viel Abwechslung kann man jeden Tag aufs Neue wählen, worauf man gerade Lust hat.
Apropos: Was machen wir eigentlich morgen?
Mit Schneeschuhen auf die Genneralm – Tourdaten:
Länge: ca. 7 km (hin und retour)
Höhenunterschied: 470 m
Dauer:
ca. 1.45 h Aufstieg
ca. 1.30 h Abstieg
Ausgangspunkt:
Parkplatz Lämmerbach (gebührenpflichtig)
Anreise:
Bus Nr. 155/157 von Salzburg kommend
Mit dem PKW über Hof bei Salzburg, Faistenau und Hintersee (bis Talschluss)
Wegverlauf: Stets auf der Genner-Forststraße bis zur Genneralm
Einkehr: keine
Bereite dich gut vor
• Wähle Touren, die zu deiner Fitness und zur Wetterprognose passen.
• Nimm die wichtigsten Infos mit (Tourenbeschreibung, Landkarte).
• Geh nicht alleine, sondern nimm Freunde mit.
• Kläre Einkehrmöglichkeiten ab (im Winter sind viele Hütten geschlossen).
Schätze die Lawinenlage ein
• Die aktuelle Lage findest du unter www.lawine.salzburg.at.
• Nimm die gesamte Notfallausrüstung mit und übe damit umzugehen.
Vertraue auf Profis
• www.bergwanderfuehrer-salzburg.com
• Franz Zwanzger, geprüfter Bergwanderführer, Skilehrer und Rad-Guide
in Eugendorf, Tel. +43664 / 41 00 057, erlebnisnatur@gmx.at
Sei natur- und sozialverträglich unterwegs
• Benütze öffentliche Verkehrsmittel.
• Wähle die üblichen, empfohlenen Routen.
• Meide Dämmerung, Wildruhezonen, Jungwald und Winterfütterungen.
• Vermeide Lärm, nimm Hunde an die Leine.
• Benütze nur offizielle Parkplätze.
• Zertrample niemals die Aufstiegsspur der Skitourengeher.
Sanfte Winteraktivitäten um Eugendorf
• Langlaufen – drei Loipen in Eugendorf
• Kleinere Skigebiete – Koppl, Postalm
• Schneeschuhwandern – Feichtensteinalm (ab Hintersee), Loibersbacher Höhe, Zwölferhorn (beide: ab Tiefbrunnau), Enzianhütte/Trattberg
(ab St. Koloman), Pitscherberg (ab Postalm)
• Skitouren – Genneralm/Hoher Zinken (ab Hintersee),
Wieserhörndl (ab Gaißau), Loibersbacher Höhe, Zwölferhorn
(ab Tiefbrunnau), Schlenken (ab Krispl)
• Rodeln – Tiefbrunnau/Keflau
Autor: Uwe Grinzinger