Rauch und Segen

16.12.2024
Allgemein, Kultur & Brauchtum, Printmagazin "Anders g'schaut"

Der 24. Dezember ist die erste von zwölf Raunächten. Der magischen Wirkung des Weihrauchs kommt darin eine besondere Bedeutung zu.

Vorsichtig öffnet Erika Ebner das kleine Türchen des Holzofens. Schon während der Kindermette am Nachmittag sind ihre Gedanken einige Mal abgeschweift, in die Küche und zum Ofen gewandert. Nun ist ihr die Erleichterung anzusehen. »Für den Heiligen Abend braucht es eine ‚schöne Glut‘«, verrät die Bio-Bäuerin und da ist sie: Aus dem Bauch des Ofens schimmert es tiefrot in die bereits dämmrige Küche. Feuer und Holz haben ihre magische Wirkung entfalten. Sie haben nicht nur wohlige Wärme erzeugt, sondern auch ein ansehnliches Häufchen Glut. Diese ist die wichtigste Voraussetzung zum Rauchengehen und das wiederum ist beim Freibauern in Eugendorf eine unumstößliche Tradition und gehört zum 24. Dezember wie das Christkindlanschießen und die Vanillekipferl.

Eine jahrhundertealte Tradition

»Ich kann mich nicht erinnern, dass wir das Rauchengehen jemals ausgelassen hätten«, sagt Sepp Ebner, der die Stallarbeit verrichtete, während seine Frau mit den Kindern Christina und Sebastian in der Kirche war. Mit dem Herrichten der Glut bricht beim Freibauern, wo drei Generationen unter einem Dach wohnen, der Heilige Abend an. Der Ablauf folgt einem fixen Ritual: Rauchengehen, Rosenkranz beten, Bescherung, danach Abendessen mit Würstel und selbstgebackenen Keksen. »Bis zu ihrem Tod letztes Jahr hat Urlioma Cilli die Glut vorbereitet«, erklärt Erika, während sie ein altes, gusseisernes Bügeleisen öffnet. »Jetzt habe ich diese Aufgabe übernommen.«

Die Kinder geben den Segen

Die Rollen beim Rauchengehen sind festgelegt: Gemeinsam mit ihrem Mann Sepp füllt Erika die Glut ins Bügeleisen und streut ein paar Körner Weihrauch drüber, den sie am Eugendorfer Adventmarkt gekauft hat. »Der Bauer hat den Rauch in der Hand. Ich bin für das Nachlegen des Weihrauchs zuständig und Christina und Sebastian gehen mit dem Weihwasser. Sie geben den Segen.«
Mithilfe eines Tannenzweigs, den die Kinder zuvor vom Christbaum abgeschnitten haben, besprengen sie Räume, Gegenstände und Tiere mit dem geweihten Wasser. Und dort im Stall bei den 25 Milchkühen beginnt die Familie auch ihren Rundgang: Neugierig heben die Kühe und Kälber, Ziegen und Hasen die Schnauzen – mit dem Duft des Weihrauchs hält das besondere Gefühl von Weihnachten Einzug.

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Innige Herzenswünsche

Der Geruch des heiligen Rauchs ist es auch, mit dem das Loslassen und das Reden über Wünsche und Gefühle besonders gut gelingt, ist Erika überzeugt: »Beim Räuchern gehen wir bewusst in jeden Raum und durch den Stall. Dabei sprechen wir alle Wünsche laut aus, die uns spontan einfallen und am Herzen liegen und bitten um Segen fürs nächste Jahr.« Es sind Herzenswünsche, die allesamt gemein­same Innigkeit aufweisen: Die Familie bittet um Gesundheit für alle Familienmitglieder und Tiere, um Glück im Straßenverkehr ebenso wie im Stall, für ein harmonisches Zusammenleben und um gute Schulnoten. »Ich kenne diese Tradition aus meinem Elternhaus«, sagt Erika. »Mir ist wichtig, dass die Kinder lernen, dass sie um etwas bitten dürfen. Das gibt Halt im Leben.«

Stille kehrt ein

Nach dem Stall geht es durch das große Bauernhaus, eine übermütige Katze hat sich den Vieren angeschlossen. Im zweiten Stock warten bereits die Großeltern Maria und Sepp darauf, dass die junge Familie auch ihre Räumlichkeiten segnet. Danach steigen alle gemeinsam die Treppen hinunter und finden sich in der Küche ein. Es scheint, als wäre der ganze Bauernhof in Liebe, gute Wünsche und Segen gehüllt. Der Rundgang hat die Heilige Nacht eingeläutet, hat mit geweihtem Rauch und Wasser Ruhe ins Haus gebracht. Es macht sich ein Gefühl der Geborgenheit, der inneren und äußeren Stille breit. Die Kerzen werden angezündet, man rückt näher zusammen, um aufs Christkind zu warten. Es wird eine ganz besondere Verbindung spürbar: zu den eigenen Wurzeln, den eigenen Traditionen, der eigenen Identität, der eigenen Zugehörigkeit. Und es breitet sich ein Weihnachtsgefühl aus, das auf den ersten Blick einfach und bescheiden anmutet. Das aber von allergrößtem Reichtum geprägt ist.

Raunächte und Volksglaube

Mit dem 24. Dezember bricht die Zeit der Raunächte an. Diesen zwölf aufeinanderfolgenden Nächten kommt im alpinen Raum eine besondere Bedeutung zu. Zahlreiche Mythen und Bräuche ranken sich um sie. Dazu zählt unter anderem der Aberglaube, dass in diesen Nächten keine Wäsche aufgehängt werden darf, da sich sonst im Jahr darauf »Leintücher in Leichentücher« verwandeln. Eine mächtige Gestalt, die dem Volksglauben nach in den Raunächten umgeht, ist die Percht, die sowohl straft als auch segnet. Das »Rauchengehen« wird in vielen Familien am 24. und 31. Dezember sowie am 5. Jänner praktiziert. In den letzten Jahren haben die Raunächte eine wahre Renaissance erlebt, denn sie laden auf besondere Weise zum Innehalten ein. Geräuchert wird mit exotischen oder heimischen Harzen wie Weihrauch, Styrax, Benzoe sowie Fichten- oder Lärchenpech.

Autorin: Franziska Lipp

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